Leiterspitzen

22 Summits Stories

Geschichten von unserem Grossvater Paul Julen - Zermatter Skilehrer und Bergführer

 

Es war ein Vorfall auf den Leiterspitzen (3’407m), die den Bergführer Paul Julen, Grossvater von Carolina, Rahel und Nicola, im Jahr 1961 fast das Leben gekostet hätte. Ausgerechnet dort. Nicht weit entfernt am Teufelsgrat war Paul Julens ältester Bruder Max im Jahr 1957 verunglückt und auf die Seite der Kinflanke abgestürzt.


Das Wetter war schlecht. Es schneite und regnete. Paul Julen, ein zweiter Bergführer aus Klosters und ihre Gäste stiegen hoch ins Col und warteten, bis die Sonne schien. Dann gingen sie los. Paul kletterte auf dem ausgesetzten und luftigen Grat mit seinem Gast voraus und hatte gerade seine Hände auf den Felsen gelegt, da löste sich ein grosser Stein und drohte auf seine Füsse zu fallen. Er konnte sich mit einem Sprung auf die Gegenseite des Grates retten. Das straff gespannte Seil blockierte auf der Gratschneide zwischen Paul und seinem Gast und verhinderte so einen tödlichen Absturz.


Die Generation von Paul Julen, der 1926 als fünfter von 12 Geschwistern geboren wurde, war die erste, die ihre Familien vom Tourismus ernähren konnte. Pauls Eltern, Severin und Veronika, lebten noch weitestgehend von der Landwirtschaft. Den Sommer verbrachte die vierzehnköpfige Familie mit ihren Schafen in Findeln. Fünf von Pauls Brüdern wurden Bergführer und Skilehrer. Zwei Brüder arbeiteten ausschliesslich als Skilehrer. Mutter Veronika, so wird in der Familie erzählt, sei die erste Zermatterin auf dem Matterhorn gewesen.


Paul wurde mit Ende 20 Bergführer. Er lernte zunächst Schreiner und Schnitzler. Um 7 Uhr ging es an die Arbeit. Wenn er nachmittags um 4 Uhr zum „Zabund Tee“ nach Hause kam, waren seine Brüder schon zuhause. Paul verdiente 48 Franken pro Woche und arbeitet 60 Stunden. Die anderen Brüder verdienten 32 Franken am Tag. Das schien das bessere Geschäftsmodell zu sein, aber es barg auch ein hohes Risiko: Nach Max verunglückte der jüngste Bruder „Norbert Seelig“ 1962 in einer Schneelawine im Findeltrift.


Paul Julen bestieg das Matterhorn über 300 Mal. So führte er unter anderem Thomas J. Watson Jr. den ehemaligen Chef von IBM. Watson, damals 65 Jahre alt und schwer herzkrank, sei auf jeder Party von Senator und Matterhorn-Besteiger Ted Kennedy, geführt von Pauls Bruder August, aufgezogen worden, dass er noch nicht auf dem Matterhorn gewesen sei. Watsons mühsamer Gipfelsieg – der Abstieg ging per Helikopter vonstatten - folgte eine späte politische Karriere: Er wurde von 1979 bis 1981 Botschafter in der Sowjetunion.