Pollux

22 Summits Stories

Die kleine Vielseitige


In der Schweiz gibt es 1255 Bergführer, nur 30 davon sind weiblich (Stand Dezember 2018). Eine von ihnen ist Bettina Sulliger-Perren aus Zermatt. Die studierte Sportpädagogin führt seit 25 Jahren Gäste sicher durch die Bergwelt. Sie bewegt sich in diesem Beruf in einer Männerdomäne und hat über die Jahre gelernt, mit Vorurteilen umzugehen. „Als ich Bergführerin wurde, war ich wahnsinnig stolz auf mein Abzeichen. Ich trug es an meiner Jacke und bin durchs Dorf marschiert. Die Zermatter waren cool mit mir, aber auswärtige Bergführer, die noch nie eine Bergführerin gesehen hatten, haben blöde Sprüche gebracht. Irgendwann bin ich dann in Privat-Ausrüstung losgezogen, wenn ich Stammgäste führte. So konnten wir in Ruhe Seilschaften überholen, ohne dass gelästert wurde. Ich hatte wieder meinen Bergfrieden.“


Wenn Bettina Sulliger-Perren Anfragen bekommt, dann entscheidet sie realistisch: „Mit untrainierten oder schweren Gästen gehe ich nicht los. Das spielt besonders am Matterhorn eine Rolle, weil dort die Absturzgefahr am grössten ist. Mein Körperbau ist ein anderer, ich habe keine breiten Schultern, aber ich muss trotzdem das gleiche Material dabeihaben. Wenn der Gast eine Krise hat, muss ich ihm etwas abnehmen können.“


Wenn sie sich mit einem Berg vergleichen würde, dann beschreibt sie es so: „Ich bin ein bisschen wie der Pollux: klein und vielseitig. Er ist abwechslungsreich: Gletscher, Fels, Gletscher. Zunächst quert man das riesige Breithorn-Plateau: Freiheit! Weite! Man sieht den Pollux lange nicht. Er ist unscheinbar. Wenn du dann unten stehst, musst du doch klettern. Zum Schluss ist es ein bisschen wie am Matterhorn, mit Fixseilen und –ketten. Zum Schluss noch ein schönes Gipfelgrätchen. Du steigst gen’ Himmel. Zu Fuss, mit Ski, ohne Ski: Alles ist möglich. Wenn die steile Flanke, die nach Südwesten zeigt, nicht vereist ist, fahre ich sie runter. Der Pollux ist der kleine Zwilling vom Castor, und ich habe auch einen Zwilling – meinen Bruder Ronnie. Wir haben schon als Jugendliche Touren zusammen unternommen. Mit 12 Jahren sind wir das erste Mal alleine los. Es war abenteuerlich: Wir sind Richtung Untergabelhorn mit einem alten Militärseil aus Hanf. Wir hatten keine Ahnung, wie man sich das richtig umbindet und unsere Eltern hatten keine Ahnung, was wir im Schilde führten. Wir haben ihnen irgendetwas erzählt. Ist nochmal gut gegangen. Bergsteigen fängt immer irgendwo ganz unten an.“