Allalinhorn

22 Summits Stories

Rettung am Allalinhorn

 

Am 4. April 1992 begibt sich eine Gruppe von fünf Berggängern von Saas Fee auf Skitour. Drei von ihnen sind erfahren, als Bergretter und Expeditionsteilnehmer. Einer ist erst Anfang zwanzig. Er verfügt im hochalpinen Gletschergelände über wenig Erfahrung. Er ist aber ein sehr guter Skifahrer, fährt Rennen und unterrichtet als Skilehrer.


Die Gruppe besteigt das Allalinhorn und beabsichtigt danach in die Britannia Hütte abzufahren. Die Verhältnisse sind aufgrund des zuvor gefallenen Neuschnees und der Windverfrachtungen schwierig. Gletscherspalten sind zugeschneit und schlecht zu erkennen. Plötzlich gibt der Schnee nach. Der junge Mann befindet sich während der ersten 10m im freien Fall. Dann folgt der erste Anprall an der leicht abgeknickten Gletscherwand, es folgen zahlreiche weitere. „Es hat mich rechts und links an die Wände gehauen“, erinnert sich Jürg Friedli. In einer Tiefe von 25m kommt er im nur noch kopfbreiten Spalt stark eingeklemmt zum Stillstand, wird kurz bewusstlos. Seine Freunde informieren die Air Zermatt.


Die Bergretter, die zunächst nicht zu ihm vordringen können, weisen den Verunglückten an, das Seil, das sie zu ihm hinunterlassen, um den Oberkörper zu legen. Zwischen Kopf und der Spaltwand kann das Seil aber nicht vorbeigeschoben werden. Sie rufen ihm zu: „Wir holen dich raus, aber wir müssen einen Tunnel graben.“ Sie hämmern drei Stunden lang mit Eispickeln, kommen aber kaum voran. Jürg Friedli ruft ihnen zu: „Ihr müsst nicht weiterarbeiten. Ich schlafe jetzt ein.“ Die Retter reagieren heftig: „Du willst uns hängenlassen? Du bleibst jetzt wach! Wir schaffen das!“ Nach vier Stunden ertönt endlich wieder der Lärm des Helikopters. Der Kompressor konnte trotz widrigster Bedingungen hochgeflogen werden. Endlich kommen die Retter mit ihrem Kanal rasch voran und erreichen Friedli. Nach fünf Stunden kann Jürg endlich gesichert werden und wird langsam hochgezogen. Er sagt lakonisch: „Runter ging's schneller als hoch.“ Jahre später erinnert er sich: „Wie ich über den Gletscherspaltrand in die Weite geschaut habe, das tat extrem gut. Aber ich hatte vom Bauch abwärts kein Gefühl mehr. Jürg fragte sich, ob er je wieder laufen werden kann. Kurz darauf fällt er ins Koma.


Jürg Friedli hat von seinem Bergunfall keinerlei Schäden zurückbehalten. Sein Fazit: „Wir müssen uns immer wieder bewusstmachen, worauf es im Leben wirklich ankommt und es geniessen. Es kann von einer Sekunde zur nächsten alles anders sein. Trotz dieser Erfahrung ist die Freude an den Bergen ungebrochen.“


2018 traf Jürg Friedli, der heute Präsident von Swiss Snowsports ist, den Chef der Rettungskommission von 1992, Bruno Jelk. 26 Jahre waren vergangen. Sie begegneten sich auf einer Fachtagung. „Er erinnerte sich sofort an die Rettung. Das war für mich äusserst beeindruckend“, erzählt Jürg Friedli. „Er sagte zu mir: 'Aufgrund deiner Informationen haben wir damals die Technik für künftige Rettungen etwas angepasst.'“

 

Rettungseinsätze in Gletscherspalten haben die Bergretter immer schon vor grosse Probleme gestellt. Die Air Zermatt hat auf diesem Gebiet Bahnbrechendes geleistet. Bereits in den 80er Jahren experimentierte man unter der Leitung von Bruno Jelk, Rettungschef von 1981 bis 2015, mit dem Einsatz von Kompressoren und pneumatischen Abbauhämmern. Es wurden speziell geformte Meissel entwickelt, um das Eis besser und schneller abbauen zu können.

 50 Jahre Air Zermatt


Weiterlesen: Beat H. Perren: Pioniere der Bergrettung. Co-Autoren: Luzius Theler, Gerold Biner. Rotten Verlag 2018.

Roger Gauderon mit Bruno Jelk: Alarm am Everest, Matterhorn Verlag 2014