Bishorn

22 Summits Stories

Von der Kunst den Fluchtinstinkt zu überwinden


Klaus Tscherrig, Bergführer aus Täsch, erinnert sich an ein Gewitter am Bishorn: „Viele Seilschaften waren am Berg unterwegs, als plötzlich dunkle Wolken aufzogen. In Panik warfen die unerfahrenen Berggänger Eispickel und alles, was aus Metall war, von sich und suchten das Weite. Von einer solchen exponierten Stelle zu flüchten, ist wie bei Gewitter auf dem Meer von einem offenen Boot über Bord zu springen, in der Hoffnung ein sicheres Ufer zu erreichen: vollkommen sinnlos.“ Tscherrig und seine Gäste gingen in die Hocke, zogen sich die Kapuzen übers Gesicht und warteten ab. In 100 bis 150 m Entfernung schlugen die Blitze ein. „Der Strom in der Atmosphäre ist bei Gewitter mit Händen greifbar. Es kribbelt, als hätte man seinen Kopf in einen Ameisenhaufen gesteckt. Die Haare stehen zu Berge.“


Über das Ausmass der Gefahr schweigt der Bergführer. Wer mit Gästen unterwegs ist, trägt Verantwortung, muss vorausschauen. Ist die Gefahr da, gilt es durch die Situation hindurch zu navigieren. Zu viele oder die falschen Worte können eine Situation eher verschärfen, weil sie Unruhe stiften.  Wenn Gefahr heraufzieht, dann beobachtet der Bergführer die Szenerie, er horcht und schaut, bevor er eine Entscheidung trifft, und das ist sicher keine vom Fluchtinstinkt getriebene Handlung. „Man muss hellwach sein, wenn man sich in der Natur bewegt. Und ruhig“, so Tscherrig.


Angst kennt er nicht, Respekt schon. Allerdings ist Tscherrig bei Wetter- und Naturereignissen immer einmal mehr hingegangen als sich in sichere Gefilde zurückzuziehen. Zu gross war die Faszination für das Besondere. Also meldete er sich im Frühling 1991 als junger Aspirant gemeinsam mit dem Bergführer-Kollegen Yann Dupertuis freiwillig, um nach dem ersten Bergsturz von Randa die sich stetig verändernden und wandernden Risse auf dem Gufer (Felsblock) unterhalb von Weisshorn, Bishorn und Brunegghorn im Schichtdienst zu kontrollieren. Eine Stunde vor dem zweiten grossen Bergsturz, am späten Nachmittag des 9. Mai 1991, stand Tscherrig oberhalb der Abbruchkante, bevor sich die westliche Talflanke Randas, begleitet von einer gigantischen Staublawine, abwärts bewegte – ein geologisches Ereignis mit spektakulären Ausmassen. Insgesamt waren 48 Millionen Kubikmeter Fels ins Tal gerutscht. Der Ablagerungskegel begrub 37 Nutztiere sowie 33 Landwirtschaftsgebäude und Ferienhäuser. Menschen kamen nicht zu Schaden.


Getoppt wurde die Erfahrung durch das Erdbeben von Nepal im Jahr 2015, als sich Tscherrig mit seiner Frau Fränzi und seinem Gast Mark Ineichen im Epizentrum der Plattenverschiebung befanden. Die Moräne unter ihren Füssen wackelte wie Pudding. Sie hielten sich 20 Geh-Minuten unterhalb vom Everest Basislager auf. Dort kamen 23 Personen ums Leben, als die Eislawinen abgingen.


Bergführer, Sicherheitsexperte, Seven Summits-Besteiger

Klaus Tscherrig ist Jahrgang 1967. Er legte mit 25 Jahren die Bergführerprüfung ab. Der gelernte Metallbauschlosser ist hauptberuflicher Bergführer, Skilehrer und Wanderleiter. Er engagiert sich als Vize-Gemeindepräsident in seiner Heimatgemeinde Täsch und steht mehreren Kommissionen vor. Als Experte in Sicherheitsfragen ist er im regionalen Sicherheitsdienst tätig und arbeitet zudem als Bergretter in der Destination Zermatt. 2017 erreichten Tscherrig und sein Gast Mark Ineichen die Seven Summits, eine Serie der höchsten Gipfel aller Kontinente.