Zinalrothorn

22 Summits Stories

Mondfinsternis am Zinalrothorn


Einer ziemlich romantischen und gleichzeitig brandgefährlichen Situation sahen sich am 14. September 1932 der Westschweizer Alpinist Émile-Robert Blanchet und sein Führer Kaspar Mooser aus Täsch an der Ostwand des Zinalrothorn ausgesetzt. Blanchet vollbrachte in den Jahren 1901 bis 1942 nicht nur diverse alpinistische Leistungen, er war zudem ein bedeutender Pianist und Komponist, der mit anderen Augen die Welt betrachtete und dem in besagter Nacht ein besonderes Naturschauspiel vergönnt war, auf das die beiden Berghelden wahrscheinlich gerne verzichtet hätten. Blanchet berichtet in seinen Aufzeichnungen: „Mooser vollbringt ein bedeutendes Kunststück als Seilkünstler, um sich da oben hinaufzubegeben. Mir entgeht das Wesentliche bei diesem Schaustück, denn mein Führer verschwindet bald aus meinem Gesichtsfeld. Bei diesem verfluchten Rucksack habe ich auch keine Möglichkeit, den Kopf zu heben!“ Künstler Blanchet lauscht stattdessen mit gesenktem Kopf dem Klang der Berge: „Unbeweglich harre ich, endlos wartend, aus. Schweigen – Hammerschläge – Nägelkratzen – wieder Schweigen ...“ Er und sein Führer kamen nicht mehr weiter. Ihr Rückzug war abgeschnitten. Es wurde dunkel. Da ging im Osten der helle Vollmond auf und sie kletterten weiter. Dann plötzlich trat völlige Dunkelheit ein. Émile-Robert Blanchet und sein Führer Kasper Mooser wurden von einer Mondfinsternis überrascht. Mit Laterne kletterten sie in einer senkrechten, äusserst schwierigen und brüchigen Wand weiter, weil Mooser ein Biwak vermeiden wollte. Da entglitt ihnen auch noch die Laterne und sie mussten das Ende der Mondfinsternis abwarten. Um 1 Uhr nachts stiegen sie auf den Kanzelgrat aus und hatten einen grossen Teil der Ostwand erstbegangen.

Dass die Lichtverhältnisse in jener Nacht einem astronomischen Ereignis geschuldet waren, das nur etwa 88 Mal pro Jahrhundert stattfindet, hat sich den beiden Bergsteigern offenbar auch im Nachhinein nicht erschlossen. Blanchet erwähnt die Mondfinsternis in seinem Bericht mit keinem Wort.


Wir verdanken den Hinweis auf diese romantische und gefährliche Kletterei dem Zermatter Bergführer Hermann Biner. Sie ist aus seinem Buch „Das Matterhorn und seine Bergführer“ nacherzählt. Biner gilt als einer der besten Kenner der alpinistischen Geschichte Zermatts. Er übernahm in den unterschiedlichsten Rollen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene Verantwortung für die Bergführerzunft, unter anderem als Präsident des internationalen Bergführerverbands.


Weiterlesen

Hermann Biner: „Das Matterhorn und seine Bergführer“ (Rotten Verlag, Visp 2015)

Émile-Robert Blanchet: „Hors des chemins battus: ascensions nouvelles dans les Alpes (Les éditions de France, 1932)


Information Mondfinsternis

WILEY-VCH Verlag, Weinheim 1933