Castor

22 Summits Stories

„Wir hatten einen Traum“


Als er jung war, interessierten ihn die Berge überhaupt nicht. Ihn faszinierte der Sport - und das Talent seines Bruders Max. Heute gehört Franz Julen aus Zermatt zu den herausragenden Unternehmerpersönlichkeiten der Schweiz – und hat die Berge doch noch für sich entdeckt.

Ihr Vater Martin Julen war in den 50er Jahren einer der weltbesten Skifahrer, Lauberhornsieger, Weltmeisterschafts- und Olympiateilnehmer. Wie hat er Sie und Ihre Geschwister geprägt?

Er hat uns Respekt, Anstand, Dankbarkeit und Demut gelernt, aber auch hartes Arbeiten und konsequentes Handeln. Zudem war der Sport in unserer Familie hochangesehen, nicht nur, weil der Vater selber Skirennläufer war, sondern er hatte auch 22 Jahre lang die Blizzard-Generalvertretung der Schweiz inne. Wir haben mit den Blizzard-Rennläufern mitgefiebert. Alle sechs Kinder haben Tennis auf Wettkampf-Niveau gespielt. Wir sind früh mit dem Vater Ski fahren gegangen. Vor unserem Haus hat er uns einen Slalom gesteckt. Wenn wir nach der Schule nach Hause kamen, konnten wir, bevor es dunkel wurde, noch zwei bis drei Läufe absolvieren.


Hat es Sie als Jugendlicher gekränkt, als Ihr Vater Ihnen reinen Wein in Bezug auf Ihr sportliches Talent einschenkte?

Er hat gesagt: „Max hat Talent. Er wird mal ein grosser Skifahrer. Du wirst deinen Punkt bald erreichen, und dann wird es nicht mehr weitergehen.“ Es hat mir nichts ausgemacht. Ich habe das zur Kenntnis genommen, weil ich nebenher auch gerne Eishockey gespielt habe. Als die ersten Resultate bei den Skirennen nicht so vielversprechend waren, habe ich aufgehört.


Hat es Konkurrenzdenken zwischen Ihnen und Ihrem Bruder gegeben?

Es gab kein Konkurrenzdenken. Im Gegenteil: Mich hat sehr früh interessiert, Max zu unterstützen. Als ich 18 war und den Führerausweis hatte, bin ich mit ihm zu Rennen gefahren und habe ihn betreut und seine Ski präpariert. Man hat sofort gemerkt, dass er zu Höherem berufen war.


Wie kam das an, wenn Sie gemeinsam in Erscheinung traten?

Am Anfang wurden wir belächelt. „Da kommen die zwei Brüder!“ Als die Erfolge eintraten, hat das schnell aufgehört. Ich war Max' Servicemann, Betreuer und Manager, habe seine Verträge gemacht. In diesen fünf Jahren hatten wir ein super Vertrauensverhältnis, welches bis heute unverändert besteht.


Ihr Bruder hat den Olympiasieg auf Atomic-Ski errungen, nicht in der Marke, die Ihr Vater vertreten hat.

Max ist von 1979 bis 82 Blizzard gefahren. Der Vater hatte die Generalvertretung von 1956 bis 78. Das war ja logisch, dass Max Blizzard fuhr, aber wir haben festgestellt, dass Blizzard zu dem Zeitpunkt auf Abfahrt gesetzt hat, weniger auf Slalom/Riesenslalom und wir wussten: Wenn er es ganz an die Spitze schaffen will, braucht er anderes Material.


War das eine Ehrverletzung für Ihren Vater?

Nein. Mein Vater kennt sich im Skisport aus. Er hatte, als Max gewechselt ist, die Vertretung nicht mehr. Es war auch kein Rachefeldzug. Im Gegenteil: Er hat sich im besten Einvernehmen von Blizzard getrennt. Jeder Insider wusste, dass es zu dem Zeitpunkt für den Slalom/Riesenslalom besseres Material gab.


Wie geht es Ihrem Vater jetzt?

Er ist 91 und fährt noch ein bis zwei Mal die Woche Ski und spielt Golf: Er ist topfit.


Was haben Sie aus den intensiven Jahren mit Ihrem Bruder gelernt?

Wir hatten damals einen Traum: Olympiasieg 1984 in Sarajevo. Wenn man einen Traum hat, dafür hart arbeitet, nie aufgibt, bei den Siegen am Boden bleibt, weiter konsequent arbeitet, bei Niederlagen nicht aufgibt, daraus lernt, die richtigen Erkenntnisse zieht, immer weitergeht, dann kann man im Leben sehr viel erreichen.


Haben Sie die Pisten auch mal verlassen und haben Berge bestiegen? Immerhin sind Sie jetzt Verwaltungsratspräsident der Zermatt Bergbahnen AG und bringen Menschen an den Berg.

Die Berge, insbesondere das Matterhorn, haben mir als Jugendlicher nichts bedeutet. Die waren einfach da. Je älter ich wurde, erlangten sie eine immer grössere Bedeutung. Das Matterhorn gibt mir Kraft und Optimismus. Es macht mich demütig. Nach dem Pollux habe ich am 24. August 2009 das Matterhorn bestiegen. Neben dem Olympiasieg von Max war das sportlich einer der schönsten Tage in meinem Leben.


Max und Franz Julen

Die Brüder aus Zermatt waren in den 80er Jahren ein starkes Gespann: Max Julen (1961) trat das Erbe seines Vaters Martin Julen an und wurde zu einem der besten Skirennfahrer seiner Generation. Am 14. Februar 1984 gewann er in Sarajevo olympisches Gold im Riesenslalom. Sein drei Jahre älterer Bruder Franz (1958) war sein Manager und Betreuer. Er startete auf seine Art durch: Franz Julen arbeitete als Sport Journalist, wurde Sport Vermarkter und Manager der Skirennfahrerinnen Vreni Schneider und Petra Kronberger, war fünf Jahre CEO des Sportartikelherstellers Völkl und führte über 17 Jahre Intersport, den grössten Sportartikelhändler der Welt. Heute ist Franz Julen Verwaltungsratspräsident der Valora Holding AG, sitzt im Beirat der Unternehmensgruppe ALDI SÜD und ist seit Oktober 2018 Verwaltungsratspräsident der Zermatt Bergbahnen AG.


Castor und Pollux

Vom Breithorn in südöstlicher Richtung gelegen, geben die 4000er Castor und Pollux in Höhe und Formgebung ein harmonisches Bild ab. Die Berge sind in Anlehnung an die griechische Mythologie benannt. Der Sage nach waren Kastor und Polydeukes Zwillinge, ihre Mutter war die Königstochter Leda. Was den Vater betraf, herrschte Uneinigkeit im alten Griechenland: Zeus war der Vater von Polydeukes, aber war er auch der Vater von Kastor?

Die Brüder waren unzertrennlich. Sie wurden zum Stolz Spartas, nahmen an der Suche zum Goldenen Vlies teil, begleiteten Herakles auf dem Weg zu den Amazonen. Nach dem Tod von Kastor bat Polydeukes seinen Vater Zeus, ihn von seiner Halbgöttlichkeit und Unsterblichkeit zu befreien, um mit seinem Bruder ins Totenreich zu gehen. Gerührt von dieser Bruderliebe, ermöglichte Zeus seinem Sohn Polydeukes zwischen Olymp und dem Hades zu wandeln und zu altern, bis auch er den Tod der Sterblichen sterben dürfe.

Noch heute stehen Castor und Pollux für Geschwisterliebe, Freundschaft und gegenseitige Unterstützung.